Tag 22: Wo der Wein wächst

Bald ist Erntezeit: Überall wächst der Wein in der wasserreichen Region Colcheagua.

Immer weiter geht unsere Fahrt nach Norden. Über die wirklich prima ausgebauten chilenischen Autobahnen Richtung Talca und San Fernando. Und während wir eine der (leider zahlreichen) Mautstationen passieren, stehen plötzlich rechts und links der Autobahn unübersehbar viele Rebstöcke. Wein über Wein. Sattgrüne Blätter, in deren Schatten dicke, blaue Reben wachsen. In etwa einem Monat ist Erntezeit und dann ist das Colcheagua, die Heimat des bekannten und wohl besten chilenischen Weines, wieder Schauplatz einer gigantischen Traubenlese.


Der Schein trügt ein wenig: Die Weinkeller im Colcheagua sind alle noch relativ jung. Denn der Siegeszug des chilenischen Weines begann erst vor wenigen Jahrzehnten.
Noch ein Wort zu den Autobahnen (das muss jetzt mal sein). Einen solchen Anblick kann man sich einfach nur wünschen: Statt Blechlawinen gänzlich leere Pisten bis zum Horizont. Kinderpoglatte Asphaltdecken, statt Schlagloch gespickte Wanderbaustellen. Da macht es auch nichts, dass einem auf der Autobahn plötzlich bei 130 km/h ein Radfahrer entgegen kommt oder eine Bushaltestelle mit Häuschen rechts neben der Standspur steht, in dem wartende Mapuche-Indianer vor der heißen Mittagssonne Schutz suchen. Allerdings ist die alternativlose Benutzung der Autobahn relativ teuer. Alle 30 - 40 Kilometer kommt eine der großen Mautstationen, an der 2100 Pesos (ca. 3,50 €) fällig werden. Die Abfahrt von der Autobahn kostet an manchen Stellen noch einmal 500 Pesos. Von Pucón bis Santa Cruz, eine Strecke von 650 Kilometern, zahlen wir fast 30 Euro Maut. Aber dafür sind die Pisten eben tiptop in Schuss. Sprit ist übrigens fast genauso teuer wie in Deutschland.
Einer von bestimmt hundert verschiedenen
Weinen auf dem Gut von Carlos Cardoen. 

Zurück zum Land des Weins. Wir steigen im südamerikanischen Kolonialstil gehaltenen, ersten Haus am Platz ab. Dem Santa Cruz Plaza. Der Siegeszug des exzellenten chilenischen Weines ist mit dem Namen des Besitzers des Hotels eng verbunden. Carlos Cardoen (heute 71) ist ein Multitalent und einer der reichsten, wenn nicht der reichste Mann Chiles. Das lag zum einen an seiner Nähe zu den jeweiligen Machthabern (ja, auch Pinochet), wohl aber auch an sagenhaften und illegalen Waffendeals mit Staaten wie dem Irak. Cardoen, Ex-Luftwaffenpilot, hatte mal eben auf Anfrage der damligen Regierung eine der ersten Clusterbomben entwickelt und mit Rüstungsgeschäften gleich dreistellige Dollar-Millionenbeträge eingefahren. Doch aus dem Saulus wurde in den letzen Jahrzehnten eben eine Art Paulus. Cardoen gilt als Erfinder des "Vine-Trains" und hat die Colcheagua-Region und den Anbau der Trauben regelrecht zum Industriezweig voran getrieben. In seiner Heimatregion (viel weiter im Süden Chiles) setzt er massiv Geldmittel für die Erhaltung der kulturellen Identität der Mapuche-Indianer ein. Auch auf der zu Chile gehörenden Osterinsel
Ein sehr altes Exponat: die Überreste einer bestatteten indigenen Frau aus der Vorzeit. Im Colcheagua wurden übrigens die Überreste von Menschen, die bei einem Vulkanausbruch ums Leben kamen, gefunden - 2000 Jahre älter als die "Liebenden" von Pompeji. Und man fand sie in einer ähnlich umschlungenen Position. 
ist es ihm gelungen, dass die fast schon verbotene Ursprache der indigenen Bevölkerung nun wieder in den Schulen dort gelehrt wird. Den Mann aber in die Nazi-Ecke zu drängen, wie das einige politisch überkorrekte Reiseführer aus Deutschland tun, ist absoluter Mumpitz. Weil sich in seinem wirklich sehenswerten Privat-Museum im rückwärtigen Teil eine umfassende Waffensammlung von der Radschlosspistole bis hin zum modernen Artelleriegeschütz findet, bekommt die gutmenschelnde Besucherin aus Deutschland vor uns fast einen Anfall. Als sie plötzlich eine riesige Hakenkreuzfahne, Schaufensterpuppen mit Wehrmachtsuniformen, Luger-Pistolen, Schmeisser-MPs und eine Ordensammlung entdeckt, ist es vorbei mit der Contenance. Wutschäumend läuft die Mittfünfzigerin Richtung Ausgang, wobei  sie fast über ihre wohl andernorts erstandene Mapuche-Decke stolpert, die sie sich lässig um die volleren Hüften gebunden hat. Hasserfüllt dann der Kommentar im Gästebuch. Leider darf man das Foto der Dame aufgrund ihrer Persönlichkeitsrechte nicht veröffentlichen.
Auch im Museum: Mapuche-Schmuck, angefertigt aus chilenischen Münzen.

Fakt ist: Das Museum ist wirklich großartig. Von seltensten Exponaten der Ureinwohner Südamerikas, über , in Bernstein eingeschlossene Insekten aus dem Dinosaurierzeitalter bis hin zur jüngeren Geschichte Chiles ist alles faszinierend dokumentiert. Und absolut bewegend: Das Museum zur Rettung der "Treintatres", der 33 chilenischen Bergleute, die 2010 in ihrer Mine eingeschlossen wurden. Die Geretteten haben Carlos Cardoen sogar viele persönliche Dinge für das Museum überlassen, wie Nachrichten an die Familien, die sie während ihrer dreimonatigen Gefangenschaft per Rohrpost an die Oberfläche sandten.
Die Gondelbahn in den Weinbergen bei Santa Cruz. 

Wer Wein liebt, ist im Colcheagua, das nur 150 Kilometer südlich von Santiago liegt, genau richtig. In den Weinbergen gibt es sogar eine Gondelbahn, von der man einen atemberaubenden Blick über die schier endlosen Weinberge und -täler hat.
Wir fassen nun unser vorletztes Ziel ins Auge: Die Hafenstadt Valparaíso.

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