Tag 18: Schleswig-Holstein mit Vulkan

Das Land, wo Milch und Honig fließt: die Region um den Llanquihue-See.
Ganz ehrlich: Plötzlich sieht es aus wie an der Schlei in Schleswig Holstein. Auf sattgrünen Wiesen grasen friedlich Schwarzbunte, gelbe Butterblümchen wiegen sich im Wind, die Holzhäuschen sehen mit ihrem leicht viktorianischen Giebelgezier aus wie die an der Ostsee zu Omas Zeiten. Eine Tafel am am hölzernen Gartenzaun lädt auf Deutsch zu Kaffee und Kuchen. Und das mitten im "Kleinen Süden" Chiles. Unglaublich! Doch Tatsache. Im kleinen Örtchen Fruttilliar am Llanquihue-See steht im Gebäude der örtlichen Löschgruppe sogar ein Löschfahrzeug 16 (LF 16) mit der spiegelverkehrten Aufschrift "Feuerwehr", gestiftet von der Stadt Herten. Eine Bilderbuch-Landschaft, wo Milch und Honig zu fließen scheinen. Und über allem thront der Osorno. Der 2652 Meter hohe Vulkan ist perfekt geformt und wirkt irgendwie fehl am Platz. Denn im echten Schleswig-Holstein gibt es ja auch keinen Feuerberg...
Mitunter sieht es auch aus wie in den Alpen: Hier ein Häuschen im Älpler-Stil.

Doch warum gibt es so viele Verbindungen zu Deutschland und Österreich? Nachdem wir auf dem Weg nach Fruttilllar entlang von Chiles zweitgrößtem See fahren, treffen wir zunächst ernsthaft auf eine Wurstfabrik. "Möhringer" prangt in großen Lettern auf dem brandneuen Firmengebäude (Logo ist ein lustiges Schweinchen). Ein paar Straßen weiter ist Werksverkauf wie in einer deutschen Metzgerei. Es gibt Tee- und Leberwurst - und so steht es auch auf den Schildern. Ortsausgangs halten wir dann bei einem kleinen Friedhof. Auf den verwitterten Grabsteinen findet man ausschließlich deutsche Namen. Meist aus dem süddeutschen Raum. Hier ruhen Kolonisations-Pioniere wie die Brandauers, die Riedbergers, die Münchmeyers oder die Schotts. Über dem See, nur über einen versteckten Waldweg zu erreichen, thront ein großes Denkmal, auf dem heute ein echter Karaka (Geierfalke) sitzt.
"Unsere Ahnen" steht in Stein gemeißelt über den Rundbögen und eine Inschrift die lautet: "Es waren Wille, Tat und Opfer, die Wildnis in fruchtbares Land verwandelten. Ehre ihrem Andenken." Die ersten Einwanderer kamen ab 1853 an den See. Zuvor hatte der Deutsche Bernhard Philippi (1811–1852) im Jahre 1842 die Gegend um den See erforscht. Die chilenische Regierung lud weitere deutsche Einwanderer zur Besiedlung dieser Gegend ein. Nachdem in Deutschland 1848 die Märzrevolution gescheitert war, kamen einige tausend Deutsche in die Gegend. Sie gründeten 1853 Puerto Montt und siedelten sich in den Städten Llanquihue, Frutillar und Puerto Varas, El Maiten und Puerto Octay an. 
Während wir noch die Grabinschriften studieren, kommt plötzlich ein großer Pickup den Feldweg hinauf. Am Steuer sitzt Hans (Juan) Droppelmann. Er hatte im Vorbeifahren "Leute" am Denkmal gesehen und wollte vorsichtshalber einmal nach dem Rechten schauen. Hans könnte ohne Probleme eine Nebenrolle als gestandener Landwirt in der NDR-Sendung "Neues aus Büttenwarder" besetzen. Er ist sehr stolz auf seine Herkunft. Schon in der 5. Generation lebt und bewirtschaftet seine Familie die Ländereien mit seinen Schaf- und Rinderherden am Llanquihue-See. Deutsch spricht er allerdings so gut wie nicht. Dennoch bleiben und heiraten die Familien unter sich. Natürlich hat man sehr viel chilenische Gewohnheiten im Alltagsleben angenommen und mit den Nachbarn versteht man sich prächtig. Man fühlt sich als Chilenen mit deutschen Wurzeln. Nicht als Deutsche mit chilenischen Gewohnheiten.
Überhaupt ist die Gegend sehr solid und sicher. Eine Kriminalitätsrate ist fast nicht vorhanden und wenn überhaupt kommt es in der Sommersaison, wenn tausende Touristen am wunderschönen See Camping machen, mal zu kleineren Zwischenfällen. Auf Herrn Droppelmanns Empfehlung machen wir eine Rundtour um den gesamten See (156 Kilometer), die bequem an einem Tag zu schaffen ist. In Frutillar selbst, jenem unglaublich aufgeräumten Städtchen, steht doch tatsächlich das eingangs erwähnte Löschfahrzeug mit der Aufschrift "Feuerwehr" vorm Gerätehaus. Alles ist tadellos aufgeräumt hier und wenn noch Zeit gewesen wäre, hätten wir sehr gerne einen Segeltörn auf dem Llanquihue gemacht.
Am Spätnachmittag erreichen wir über eine kurvige 30 Kilometer lange, top geteerte Küstenstraße (der Traum für Motorradfahrer, weil leer) die Wasserfälle von Petrohue im Nationalpark Vincente Perez Rosales. Von hier aus kann man auch zum Vulkan hinauf, auf dem man im Winter sogar Ski fahren kann.
Zum Abendessen geht es in Puerto Varas ins Restaurant des Deutschen Vereins, den "Club Alleman". In der Wirtsstube des von außen unscheinbaren Gebäudes, mitten in der Stadt, dudelt tatsächlich deutsche Schlagermusik aus den Lautsprechern und auf dem Geschirr prangt der schwarze Bundesadler im Wappen auf gelben Grund. Da macht es nichts, dass die sehr freundlichen chilenischen Kellner gar kein Deutsch verstehen, doch an den Nebentischen tauchen dann doch ein paar Einheimische auf, die sich auf ein Schwätzchen in der Sprache ihrer Ahnen freuen...
Ein deutsches Feuerwehrauto in Chile: Das LF 16 von Mercedes Benz - aber mit Chile-Kennzeichen.

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