Tag 20: Der Flug des Kondors und eine warme Wanne

An einem Canopy-Seil geht es 520 Meter durch den Wald, 90 Meter über einer Schlucht.
Nix für Leute mit Höhenangst: In den tiefen Wäldern des Naturreservates Huilo Huilo haben sich ein paar pfiffige Jungs, geduldet von Bioreservatbesitzer Victor Petermann, ihre ganz eigene Geldquelle erschlossen: Touristen zum "Canopy" zu bringen. Als unerschrockener Sauerländer und Reisefreund habe ich das Zip-Lining, wie es auf Englisch heißt, schon einige Male gemacht. Die Länge der Seile, die die Canopy-Jungs in die alten, bis zu 40 Meter hohen Nothofagusbuchen den Bergen um Huilo Huilo gespannt haben, ist nichts für Leute mit Höhenangst. Das längste Stahlseil misst 520 Meter und ist ca. 90 Meter über Grund, während man mit Gurtzeug und Seilrolle mit ca. 70 km/h daran entlang rast. Wie gut, dass man am Nachmittag die Nerven beruhigen kann - an den heißen Pirihueico-Quellen der Mapuche-Indianer ...
Der Salto Huilo Huilo - von hier startet man mit den Pickups zum Canopy in die Wälder.

Aber erst einmal das Stahlseil. Nachdem die Guides die Ausrüstung, vor allem aber die Höhe und Länge der Seile (es sind fünf) erklärt haben, lichten sich die Reihen der Teilnehmerplötzlich. Zu sechst statt 14 fahren wir mit ein paar Nissan-Pickups in die Wälder am Fuße der Vulkane Mocho Cone und Choshuenco. Dicht steht hier Baum an Baum, der Tau hängt noch in den riesigen Farnen am Rande des Trampelpfads, der uns an den Rand eines steilen Cliffs bringt . "El vuelo del Condor", der Flug des Kondors, nennt sich das Canopy XL und blickt man in den Abgrund, versteht man warum: Fast senkrecht stürzt die Wand hinab zu einem reißenden Gletscherfluss. Das erste, 320 Meter lange Seil verschwindet im Grün des Dschungels. "Irgendwo dahinten schlagen wir auf", meint Frieda aus Berlin, die im Huilo Huilo Resort Erfahrung für ihre Ausbildung fürs Hotel-Management sammelt. Einmal hat sie die fünf langen Seile schon absolviert. Und geht mutig voran. Sie ist ja auch erst Anfang 20. Mir ist etwas mulmig, auch wenn das gesamte Equipment von einer Bergsportfirma aus Österreich stammt und tiptop in Schuss ist.

Doch dann geht es an das Seil. Man klinkt die Doppelrolle, die mit drei Sicherungsseilen am Gurtzeug befestigt ist, an das lange Stahlseil und schon geht es los: Sirrend heulen die Rollen, je schneller man wird. Der Fahrtwind zerrt an den Klamotten. Mit einem schweren Lederhandschuh mit Stahlkrallen kann man die Fahrt gegen Ende verlangsamen oder seine "Flugrichtung" korrigieren - ein Mordsspaß.

Und die Seile, zu denen wir gelangen, werden immer länger und höher. Insgesamt fünf Mal muss man den inneren Schweinehund bezwingen. Mal fliegt man "nur" 40 Meter über Grund, mal 60. Bei der fünften und letzten Station geht es einen halben Kilometer am Seil entlang und die Schlucht unter einem ist 90 Meter tief. Dafür sind die Blicke, während man über die Dschungeltäler fliegt, einfach atemberaubend. Vogelperspektive und Adrenalinschub - eine sehr belebende Mischung, um es vorsichtig auszudrücken. Frieda hat ihren Flug des Kondors ganz easy gemeistert. Bei mir erfährt die Dry-Fit-Kleidung (neudeutsch: Sportfunktoinstextilien) eine ganz andere Wertschätzung. Auch weil es anschließend noch einen echt strammen Marsch durch den Dschungel gibt. Als wir unten ankommen, ist alles getrocknet - der Angstschweiß und die Dschungelfeuchte.
In die Holzwannen mit dem 38 Grad warmen Thermalwwasser passt man bequem zu Zweit.

Friedas Vorschlag, am Nachmittag einmal die heißen Quellen der Mapuche-Indianer am Pirihueico-See zu besuchen, nehmen wir dankbar an. Vom nahen Puerto Fue, an dem ein anderes Luxus-Resort des Victor Petermann steht, geht es mit einem Motorboot mit zwei schweren Yamaha Außenbordern auf dem wunderbar klaren, aus Gletscher- und Andenwasser gespeisten 30 Kilometer langen See Richtung argentinische Grenze. Etwa auf der Hälfte, vorbei an den völlig unbewohnten, teils steil aufsteigenden Ufern, befinden sich die Quellen. Aus der Tiefe dieses vulkanisch aktiven Gebietes steigt das Wasser stetig hinauf. Und wieder hat sich der clevere Unternehmer dies zunutze gemacht. Aus alten Stämmen umgestürzter Nothofagusbuchen haben Mitarbeiter sechs große Holzbadewannen geschnitzt, die oberhalb des Ufers im Wald stehen. Erreichbar sind die Wannen wieder einmal durch Holzstege. Ein großes, eher in die Alpen passendes Haus, in dem man zur Not bequem übernachten könnte (mit gigantischem Kamin) dient als Umkleide und Versorgungsstation.

Kristallklares Andenwasser: Der Pirihueico See.
Über ein Pumpsystem läuft permanent etwa 38 bis 40 Grad heißes Quellwasser in die Holzwannen. Da passt man auch prima zu zweit rein. Aber Vorsicht ist geboten. Wegen der Wärme hat sich in den Wannen ein dünner Algenbelag gebildet, auf dem man allzuleicht ausrutschen kann. Gottlob wird einem kein Hokuspokus, von wegen heiliges Wasser der Mapuche oder so verkauft. Der Algenbelag erklärt sich einfach dadurch, dass man die Wannen nach der Benutzung einfach nicht leerlaufen lässt (was schade ist). Das Bad selbst im warmen Wasser ist wirklich prima. Wir sind nur vier Leute plus Frieda, die sich tatsächlich anschließend noch in das kalte Wasser des Pirihueico traut. Doch aufgewärmt vor dem großen Kamin und eingehüllt in Fleece-Klamotten, kann man die Rückfahrt mit dem Boot  sogar im offenen Heck genießen. Auch um 17 Uhr steht die Sonne noch so hoch am Himmel, dass sie prima wärmt. Ein aufregender Tag - und es warten noch weitere auf uns. Auch, wenn sich die Südamerika-Tour nun langsam dem Ende entgegen neigt.

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